2010 Universität Wien, Haus Währingerstraße 29-31, Informatik, Publizistik, Außenbeschriftung, Leitsystem, nmpb Architekten
2010 University of Vienna, Währingerstraße 29-31, Computer Science, Journalism and Communcations, exterior signage, interior signage, nmpb architects
ingeborg kumpfmüller, worte
Eltern-Baby-Zentrum – Perinatalzentrum Salzburg, 2010
Wenn man sich dem Gebäude nähert, noch bevor man dessen Schwelle überschreitet, wird man von einem Wort empfangen:
fühlen
Wie fühlen sich schwangere Frauen? Sie sind in freudiger oder – insbesondere im Zusammenhang der Frühdiagnostik – banger Erwartung. Wie fühlen sich ihre Partner, die ihre Frau oder Gefährtin in die Schwangerenambulanz begleiten? Die, möglicherweise zusammen mit älteren Geschwistern ein Neu- oder Frühgeborenes besuchen? Menschen, die dieses Haus betreten, sind in einem psychischen Ausnahmezustand.
Und genau dort holt die Arbeit Ingeborg Kumpfmüllers sie ab. In den Erschließungszonen, also Gängen und Wartebereichen trifft man auf besondere Worte.
Von fühlen führt der Weg zu sich selbst.
Man wird weiter geleitet zu teilen/verstehen.
Jeder Begriff eröffnet eine eigene Wahrnehmungs- und Gefühlswelt; er trifft jeden Menschen, da es sich um zutiefst menschliche Empfindungen handelt; er trifft verschiedene Menschen auf unterschiedliche Weise. In seiner Offenheit vermag jeder Begriff gleich einem Katalysator das Spektrum an Stimmungen zu sammeln.
In der Besucherambulanz erwartet die einzelnen Individuen nahe sein.
Wem? Sich selbst? Dem noch ungeborenen Kind? Dem Partner, der Partnerin? Den anderen Anwesenden, Fremden, mit denen man in dieser Situation ein ähnliches Schicksal teilt? Dem Arzt / der Ärztin, von dem / der man die rettenden Worte ersehnt: „Es ist alles in Ordnung, Sie werden ein gesundes Kind zur Welt bringen.“?
Was bedeuten dieselben Begriffe für jene, die hier arbeiten, Ärzte und Ärztinnen, medizinisches und pflegendes Personal? Für diese ist das Haus vertraut, sie folgen alltäglichen Routinen. Doch sind auch diese Menschen oft enormem Stress und psychischem Druck ausgesetzt.
Ausgehend von sich selbst führt der Blick beziehungsweise der Weg ins erste Obergeschoß, wo ich von akzeptieren empfangen werde.
Auf dieser Ebene folgen sehen/fühlen, und wieder sich selbst.
Im zweiten Obergeschoß stoßen wir erneut auf sich selbst, und erkennen/geben.
Die Schrifttype ist Avenir light.
Von der Technik her sind die Buchstaben aus transluzentem (Satince) Plexiglas ausgeschnitten, die Kanten matt behandelt. Die einzelnen Buchstaben sind von hinten mit einem Abstand von 6 mm an der Wand befestigt, wodurch sie eine Körperlichkeit erhalten.
Sie sind in hellen, man könnte meinen unscheinbaren Farben ausgeführt:
Lichtweiß,
Hellgelb,
Rosa,
Hellblau.
Doch gerade in der zarten Farbigkeit vermitteln sie eine eigene Intensität.
Wir sind bislang dem Wegeablauf gefolgt. Man könnte sich auch von den Farben leiten lassen: Die hellste Farbe, Lichtweiß, prägt das Leitmotiv des Begriffsgefüges: sich selbst. Die anderen Farben markieren die weiteren Begriffe und Orte.
So zurückhaltend sie ausgeführt sind, so behaupten sich die stillen Boten doch in ruhig eindringlicher Weise inmitten der sonstigen Informationen und Hinweisschilder. Die Strenge der Ausführung einerseits, der Abstand zur Wand andererseits verleihen den Buchstaben eine körperliche Präsenz. So zart sie sind, so werfen sie doch Schatten und bieten sie Raum zum Atmen.
Inmitten der Abläufe schafft die Arbeit Ingeborg Kumpfmüllers einen Zwischenraum. In den Worten der Künstlerin:
„manchmal bilden texte auch räume,
in denen man sich gerne aufhält.“
Mit denkbar einfachen, jedoch achtsam überlegten und präzise ausgeführten Mitteln schafft sie Räume der Reflexion und Begegnung.
Verabschiedungsraum
In der Intensivstation hebt sich eine Türe von den anderen ab. Ein weiterer Schriftzug in Gelb weist auf einen besonderen Ort: erinn-ern. Hinter der Tür findet sich ein kleiner, schlicht gehaltener Raum. Er enthält einen Babykorb mit frischer Wäsche; ein Becken zum Waschen des Kindes; ein Sofa und einen Stuhl in warmem Weißton; ein schmales Fenster, das Tageslicht einfallen als auch den Blick ins Grüne schweifen lässt. Der Raum birgt ein weiteres Objekt: einen ebenfalls aus transluzentem Plexiglas ausgeführten Kubus in einem helleren und einem dunkleren Grau. Das Grau hält die Mitte zwischen Schwarz und Weiß. Je nach Empfindung in dem Prozess des Abschiednehmens und Trauerns wird man eher die Schwere des dunklen, oder die aufkeimende Leichtigkeit des hellen Grau wahrnehmen. Die Art der Oberflächenbehandlung verleiht dem Pult auch haptische Qualitäten; man möchte es berühren, sich an ihm stützen. Es birgt drei Bücher des Erinnerns und der Erinnerung. Diese Bücher sind ein Angebot etwas festzuhalten, den Namen des Kindes, seine Geschichte, einen Gedanken, eine Bitte, eine Zeichnung. Das Geschriebene bleibt aufbewahrt als eine Mitteilung der Betroffenen. Sie kann von anderen Betroffenen gelesen werden, die wiederum ihre Gedanken hinzufügen mögen. Das Buch wird zu einem stillen Medium des Austauschs und des Bewahrens.
Über dem Pult findet sich ein weiterer Schriftzug; kaum sichtbar, in silberweißem Pigment direkt auf die weiße Wand gemalt. Das Wort, auf das man hier trifft ist spiegelverkehrt geschrieben. Es erschließt sich dadurch nur langsam, es führt nach innen oder auch in eine Ferne. Es lautet: trösten.
© Monika Leisch-Kiesl, Juni 2010